Ich habe schlecht geschlafen. Heute ist die mündliche Abi-Prüfung! Die Nervosität meiner Tochter hat sich auf mich übertragen. Ich bin morgens fast genauso nervös wie sie. Die Klausuren waren nicht so schlimm, aber die mündliche Prüfung heute, da habe ich selber noch schlechte Erinnerungen dran.  

Ich muss daran denken, was eine Freundin mir kurz nach der Geburt meiner ersten Tochter gesagt hat: Es gebe eine unsichtbare Nabelschnur, mit der man für immer mit seinem Kind verbunden bleibt. Für die ersten Jahre konnte ich das total unterschreiben, aber ich hätte nicht gedacht, dass diese Nabelschnur sogar so lange bleibt, bis meine Tochter 18 ist. Jedenfalls fühle ich mit meiner Tochter mit. Am liebsten wäre mir heute, sie wäre noch in meinem Bauch und ich könnte sie vor den Fragen der Prüfern beschützen. Mein Verstand sagt: So ein Quatsch. Lass endlich los! Sie muss solche Dinge durchstehen und in die große Welt hinausgehen. Ist schwierig, wenn Herz und Verstand komplett andere Sprachen sprechen. Aber am Ende muss ich leider dem Verstand Recht geben - geht ja auch nicht anders: Es hilft nichts, nervös zu sein - sie muss da durch. So leisten mein Mann und ich ihr am Frühstückstisch moralische Unterstützung. Ich lese ihr lustige Sachen aus der Zeitung vor. Mein Mann fährt sie dann zur Prüfung. Ist auch besser so - er ist da eindeutig cooler. Später erzählt er mir, die beiden hätten den ganzen Weg lang nicht miteinander gesprochen. Er habe ihr am Ende nur Glück gewünscht und gesagt: "Wird schon klappen".  War bestimmt besser als wenn ich zusammen mit meiner Tochter im Auto gezittert hätte. Auf der Arbeit kann ich mich kaum konzentrieren, bis der erlösende Anruf kommt:  Die Prüfung ist vorbei und sie konnte sogar auf fast alle Fragen antworten .

Ich bin erleichtert. Jetzt hat sie es geschafft! Meine Kleine Große hat ihr Abi so gut wie in der Tasche.